Slovakei

Baden, Höhlen, Fliegen, Wandern

Fahrradkilometer: 940 Kilometer

Keine Grenzen
Von Cirna, Polen schlängelt sich eine wunderschön, ruhige Strasse den Hügel empor. Oben am Scheitelpunkt der Hügelkette befindet sich die Grenze zur Slovakei. Es hat da ein Stein, dort ein Pfahl, aber wo ist jetzt die eigentliche Grenze? Es hat keine Markierung, keine Tafel: Willkommen in Slovakei, kein Grenzposten. Laut meinem App befinde ich mich mit dem linken Fuss in Polen und mit dem rechten Fuss in der Slovakei, aber in der realen Gegenwart weiss ich es doch nicht so recht wo ich nun stehe. Janu, ein Foto und Schaltung auf streng schalten, da es jetzt auf der anderen Seite runter geht. Runter ist ja gut, ich muss mein schweres Gefährt den Berg hinunter „stossen“, weil grosse Steine im Wege stehen. Um eine Kurve erblicke ich zwei Mädels, die ersten Menschen im neuen Land, mit blauen Lippen und Zähnen. Beim genaueren betrachten der hübschen Girls, erkenne ich, dass sie ihre gewonnenen Heidelbeeren verspeisen. Als Willkommens-Leckerbissen bekomme ich eine Handvoll.

Besteigunsversuch
Bis zum ersten Städtchen geht die Strasse bergab. In diesem neuen Land ist es noch heisser, so bekomme ich meine Flaschen nicht nur mit Wasser gefüllt, sondern mit hartem Inhalt…Eis. Nach einem langen Tag suche ich den, auf der Karte eingezeichneten, Pfad zum See. Da ich ihn nicht finde, halte ich das hübsche Girl, das auf dem Velo mir entgegen kommt an. Sie ist im nahe gelegenen Städtchen aufgewachsen, arbeitet nun aber in Grossbritanien, so wie viele Leute hier. Sie zeigt mir den schönsten Platz am See. Da ich sie nicht mehr gehen lasse, kaufen wir ein paar Würstchen und grillierten sie am Campfire. Am nächsten Tag radelt sie wieder zu mir hierher und gemeinsam in grösster Hitze, hechelten wir zum Fusse des höchsten Berges in dieser Gegend, um dann nochmals etwa zwölf Kilometer uns den Berg hinauf zu quälen. Es ist meistens im Schatten, sie will aber unbedingt immer an der Sonne Pause machen, weil sie braun gebrannt nach England zurück will. Die Richtung, die wir eingehen stimmt in etwa, aber der Weg führt uns einfach nicht ans Ziel. Als wir endlich mal den Gipfel erblicken, sieht es fast gleich so weit aus, wie als wir noch unten standen. Um 15 Uhr entscheide ich zur Umkehr. Beide völlig enttäuscht. Auf dem Weg zurück zum Camp kühlen wir unsere heissen Körper im See ab, klauen Birnen, die über dem Zaun hängen und schlürfen Eis in der Floniermeile.

Fix und fertig
Schon am Abend zuvor erging es mir schlecht. Am Morgen habe ich ein kotzgefühl, muss aber nicht. Durchfall. Dennoch will ich hier weg von diesem Ort. Am Tag würde ich es nicht aushalten im Sauna-Zelt, nicht aus zu denken die Scharen von Badegästen. Ohne Witz, aber ich quäle mich von Michalovce nach Presov, achtzig Kilometer. Beim ersten Hügel stosse ich mein Göppel, zu schwach meine Beine. Im Schatten ruhe ich mich aus, nachdem ich hinter dem Busch… Völlig entkräftet komme ich in Presov an.
Doch bevor ich in ein Hostel husche, will ich meinen Kunde Spinea besuchen. Er staunt nicht schlecht, als ich anstatt dem Service-Köfferchen, mit Sack und Pack vor der Pforte stehe. Leider ist der Chef, Marcel, in Kroatien in den Ferien. (Die meisten Slovaken gehen nach Kroatien in die Ferien). Im Hotel duschen und ausruhen, aber nicht lange, weil ich ein Date mit einer Slovak-New Yorkerin habe. Die habe ich bei meinem Service Aufenthalt hier in Presov kennen gelernt. Jedes Jahr macht sie zwei bis drei Wochen Ferien in ihrem Heimatland.

Weg zur Höhle oder Hölle
Nach einem Ruhetag fahre ich von einem Hügel zum nächsten. Die Sonne scheint erbarmungslos auf mich runter. Nicht mal in der Sauna, habe ich so grosse Schweissperlen auf den Armen. Das Wasser, das ich meistens in einer Bar/Restaurant auffüllen lasse, ist nach einer halben Stunde ungeniessbar warm. Auf einem entfernten Hügel steht eine mächtige Burg. Da es Sonntag ist, sind alle Läden zu, meine Taschen leer und ich hungrig. In einer Geisterstadt finde ich dann doch noch einen Tante-Emma Laden. Nussweggen mit Yoghurt-Drink zum Runterspülen.
Ausserhalb der Dörfer sieht man gelegentlich Roma Dörfer. Ich werde belehrt, dass die, wie ich angenommen habe, nicht von Romänien kommen. Die Wissenschaftler vermuten, dass sie von Indien abstammen. Es hat sehr viele Romas in Slovakei. Erstaunlich ist, dass sie willkommene Leute sind. Der Kommunismus hat früher die Tradition der Zigeuner, wie sie auch genannt werden, kaputt gemacht. Ursprünglich reisten sie von Ort zu Ort und arbeiteten meistens als Hufschmiede. Der Kommunismus duldete das „herumstreunen“ nicht mehr und so blieb den Romas nichts anderes übrig als am selben Ort zu bleiben. Als die Pferde behuft waren, hatten sie natürlich nichts mehr zu tun und sitzten nur noch rum oder fingen an zu drinken. Vor dem 2. Weltkrieg betrug die Population der Romas mehr als 2800 in der Slovakei, nach 1949 nur noch 600. Sie wurden ermordet wie die Juden.
Vor einem Pass muss ich ein Schäferstündchen einlegen, da ich mich immer noch schlapp fühle. Als Verstärkung schlecke ich ein Eis. In diesem Sommer schlecke ich rekordmässig viel Eis, weil es so günstig ist. Der Pass ist wie Eisschlecken, nicht steil und im Schatten.
Am nächsten Tag fahre ich die restlichen vierzehn Kilometer bis zur Dobsinska ladova jaskina Höhle. Auf dem Schild steht: Montag geschlossen! Mann o Mann! Ein riesen Umweg, über Hügeln und Pässe und dann ist die verflixte Höhle zu! Janu, ich mache ein Velotürchen ohne Gepäck und flirte mit der Barmaid im Restaurant, welches kein Feiertag hat.
Ich begutachte die Höhle am Dienstag. Sie zählt zu den grössten und interessantesten der wenigen Eishöhlen Europas. Sie wurde am 15. Juni 1870 entdeckt und wurde als erste Höhle Europas elektrisch beleuchtet, 1887. Im Grossen Saal beträgt die Lufttemperatur konstante -3.8 Grad, die Eisdicke misst 26.5 Meter. Das gesammte Eisvolumen hat ein Volumen von 110’000m3. Die Eisausfüllung kommt in Form von Bodeneis, Eisfällen, Eisstalagmiten und Säulen vor. Sehr eindrücklich!

Tatry Gebirge
Das Thermometer klettert auf 38 Grad Celsius und ich klettere mit dem Drahtesel hoch zum kleinsten Gebirgszug der Welt, das Tatry Gebirge. An einem Bach schlage ich mein Zelt auf, nahe der 2. Höhle, die ich besichtigen will. Als Vorspeise eine halbe Melone, Hauptspeise Pasta mit Sauce à la Rösli und als Dessert die andere halbe Melone mit Schoko-Guetzli.
Nach der Höhlen-Tour fahre ich zu einer Tourismusader. Ein Gleitschirm Pilot läuft mir über den Weg und erklärt mir wo ich fliegen kann. Alles gepackt marschiere ich am nächsten Tag den Berg hoch. Der Wind kommt vom Berg runter, aber das ist normal um diese Zeit. Das nennt man Bergwind. Dieser herrscht in der Nacht, am Tag nennt man den umgekehrten Wind Talwind. Weiter oben ist die Zeit voran geschritten, der Wind wird stärker und immer noch von oben. Aus die Maus, aus der Traum von meinem ersten Flug auf dieser Reise. Ich treffe ein paar Einheimische. Der Mann fragt mich, ob ich anstatt des Fliegens mit ihnen auf den Gipfel klettern will. Jemand sagte mir, es gäbe keinen Weg zum Gipfel, nur eine Gondelbahn. Natürlich war das wieder mal ein Amateur. So kletterten wir mit Velohelm gerüstet auf diesen wunderschönen Gipfel, der zweithöchste vom Tatry Gebirge.
Auf dem Weg runter, checke ich nochmals den Wind. Aha, er hat gedreht. So bereitete ich mich auf meinen ersten (Sturz)-flug vor. Der Wind weht recht stark, so müssen meine drei Gipfelkameraden den Schirm halten, damit er nicht davon geblasen wird. Bevor ich startklar bin, packt eine Böe die eine Seite des Schirms und schlägt sie über mich rüber.
Ein Wirrwarr in den Leinen!
Nach etlichen Minuten aus- und zurecht fädeln bin ich nun absolut startklar. Bei schwächerem Wind, ziehe ich den Schirm auf, drehe mich… da die nächste Böe! Die Böe packt mein Schirm, ich daran hängend, und wirft ihn zur Seite. Ich komme in die Luft und da der Schirm schon auf der Seite ist, wirft es mich in die nächsten Felsen rein! Autsch! Ich dachte nur noch: jetzt habe ich sehr viel Glück gehabt, nichts verletzt, also schnell zusammen packen und runter ins Tal laufen. Für die Touristen war es natürlich ein Spektakel Sonderklasse.
Am Abend fühle ich die 1800 Höhenmeter stark in den Beinen.

Viele Wettkämpfe
Mit starkem Muskelkater in den Oberschenkel verlasse ich langsam das Tatry Gebirge. Auf dem Weg runter sehe ich ein Ultra-Bike Marathon, der drei Tage über die Bühne geht. Ein Ex-Radprofi erklärt mir den Weiterweg. Er wartet noch auf seine Kollegin, die er anfeuern will. Kurze Zeit später holt er mich ein und wir fahren zusammen, er gemütlich, ich mit der Zunge in den Speichen, zu seinem Wohnort. Er zeigt mir den Veloladen, der seinem Vater gehört. Auch er ein Ex-Profi, bestritt zweimal die Tour de France. Der Sohn zweimal den Giro, einmal die Tour de Romandie, sowie auch die Vuelta. Der Traum einmal an der TDF dabei sein zu können ist leider vorbei.
Der Vater, der Jurco heisst, war im demselben Team wie Toni Rominger. Er fragt mich, wie es ihm gehe. Ganz gut, doch er hat etliche Scheidungen hinter sich, entgegne ich ihm. Sein Sohn war u.a. mit Erik Zabel im Team.
Sie inspizieren mein Fahrrad, das ein Knacks in der Schüssel hat, doch ich könne noch weiter fahren.
Am darauf folgenden Tag fühle ich mich selber wie an der Tour de France. Lautstark werde ich von dutzenden Fans angefeuert, bejubelt und beklatscht. Ein weiterer Wettkampf, der von Chopu nach Bratislava führt. Eine Staffette, bei der alle zehn Kilometer abgelöst wird. Die Teams sind gemischt und pro Team hat es etwa acht Läufer. Über zwei hohe Pässe feuern wir uns gegenseitig an, bis ich müde in Donovaly, einem Skigebiet, ankomme. Der Pilot, den ich vom Tatry Gebirge kenne, bietet mir sein Garten an und ich könne solange bleiben wie ich will. Das Haus ist leider noch nicht bewohnbar, da er es erst vor drei Monaten gekauft hat und sich unter starkem Bau befinde.
Für ein Flug reicht es nicht mehr, da ein Gewitter heran naht. Auch die Wettkampf Piloten, die seit vier Tagen ihr Können beweisen, müssen frühzeitig abbrechen.

Mein erster Gleitschirm Flug
Ich nehme die erste Fahrt mit der Gondelbahn auf den Nova Hola Berg. Bereite mein Wing in Windeseile aus, denn in der Ferne brodelt ein Gewitter heran. Nach einem missglückten Start, dreht der Wind auf Rückenwind um, dann eine Minute später, windet es sturmartig. Ich und ein anderer Pilot flüchten in die nächste Gondel, um den Schirm unten bei der Talstation zu packen. Doch ich falte ihn nicht, sondern rolle ihn und stopfe ihn in den Packsack, weil es schon tröpfelt. Also eine Kaltfront!
Geht rasant schnell sowas. Ich warte schlürfend eine heisse Schokolade im Restaurant. Anschliessend holt mich mein neu gewonnener Kollege ab und so kann ich in der Rettungsstation das miese Wetter abwarten. Er arbeitet hier als Freiwilliger. Nach vier Stunden Warterei, gehen wir gemeinsam den Berg hoch und geniessen zwei wunderbare Flüge.

Bojnice
Der Tag fängt nass an. Um 7 Uhr hört das Hämmern auf meinem Zelt auf und ich packe die nassen Sachen zusammen. Nach einer kurzen Abfahrt gehts den nächsten Pass hinauf. Vorbei an einer Haushalt-, WC-Papierfabrik pedale ich im leichten Regen den Pass hoch. Nach einer tollen Abfahrt genehmige ich mein erstes feines Brötchen mit Salami und geräuchertem Käse. Ich biege in eine Sackgassstrasse ein. Doch mein Openstreetmap-App auf meinem Samsung Galaxy 4 zeigt mir einen Track, der zwei Strassen verbindet. Nach einer kurzen Stosserei den Berg hoch fühle ich mich so ausgeglichen, dass ich die schöne Atmosphäre mit einem 2. Brötchen feiere. Normalerweise fährt man bergab, aber ich „stosse“ mein Fahrrad über grosse Steine den Berg runter. Zurück auf der Hauptstrasse zieht sich eine Baustelle bis nach Bojnice hin. Durch Europa Gelder werden im ganzen Land die Strassen ausgebessert oder neu gebaut. Ich schaue mir das imposante Schloss im Ort von Bojnice an, welcher gleichzeitig auch der Heimatort ist von Roger Federer’s Ehefrau.
Und wieder finde ich dank meines favortisierendsten App eine kleine, ruhige Strasse entlang eines Flüsschen. Bei einem Abschnitt legten sie einfach Betonplatten hin, die Hacken sind noch drin. Bei einer Badi fülle ich meine Wasserflaschen auf. Wegen dem schlechten Wetter ist die riesen grosse Wiese leer, so finde ich prompt ein nettes Plätzchen zum Übernachten. Duschen im Pool, ein leckeres Abendessen und ein Film auf slovakisch.

Regen
Der Regen raubt jegliche Motivation und Stimmung, so warte ich bis 11 Uhr im Zelt. Nach einer halben Stunde Fahrtzeit im Trockenen fängt es leider wieder an und hört die nächsten neunzig Kilometer nicht mehr auf. Unterwegs kaufe ich Imodium in einer Apotheke, in der kein Mensch Englisch sprechen kann. Per Übersetzer über das Telefon einigen wir uns über die Anwendung und dass es auch das Richtige ist. Ich wollte einfach nicht, dass ich es mymen muss.
Bevor ich zum Camp an einem schönen See komme, hört der Regen auf, so kann ich das Zelt im Trockenen aufstellen und anschliessend das Kochen auf dem Optimus Kocher geniessen mit Blick auf den See.
Über den letzten Pass in der Slovakei fahre ich recht zügig, ein sogenannter Fitness-Test. Oben fängt es an zu nieseln, um später in Regen über zu gehen. Man sieht schon die ersten Zeichen von Verwüstung. In den Dörfern fahren die Feuerwehrautos mit Blaulichtern herum, die Leute bauen sich einen Schutzwall mit Sandsäcken vor ihren Häusern und weiter vorne pumpen sie das eingedrungene Wasser aus einem Keller.
Ich habe endgültig das Tatry sowie auch das Niedere Tatry verlassen und vor mir erstreckt sich eine weite Fläche mit Pinienwälder und Agrikultur Landschaften. In weiter Ferne erblicke ich in einem Grüppchen acht Atomkraftwerke!! Vier davon sind in Betrieb. Fast eilend, düse ich der Grenze entgegen. Kaufe nochmals günstig ein, bevor ich mit einer 1€ Fähre über den Fluss March ins neue Land gelange.

Die Slovakei ist ein wunderschönes Land. Hier konnte ich vieles erleben und entdecken. Die Leute sind nett, die Autofahrer verhalten sich korrekt und die Natur lässt sich in jeder Form geniessen. Nebst dem Pedalieren konnte ich wandern, fliegen und baden. Es gibt viele Sachen zu bestaunen, wie das Tatry Gebirge, viele Höhlen und auch Burgen und Schlösser.
Ich habe nicht viele Schweizer gesehen, die das Land bereisen. Liebe Leserinnen und Leser, verbringt Eure nächsten Ferien in der Slovakei. Es ist sehr günstig, die Leute sind nett, vielfach können sie Englisch oder sogar Deutsch sprechen. Es ist ein absolut sicheres Land. Auch die Romas sind freundlich und stehlen oder rauben einem nicht aus.

Schöne slovakische Ferien wünscht Euch
Euer Stephan